Die Berliner Stadtwerke sollen den Strommarkt in der Hauptstadt aufmischen. In den kommenden fünf Jahren will das kommunale Stadtwerk rund 230 Millionen Euro investieren. Der Löwenanteil soll in den Ausbau der Photovoltaik auf Berliner Dächern fließen, ein Drittel in Windkraftprojekte und 22 Prozent in energieeffiziente Maßnahmen. Der Berliner Senat hat mit dem Stadtwerk einiges vor, unterstreicht auch Wirtschafts- und Energiesenatorin Ramona Pop: „Mit der nötigen Finanzausstattung und der Novelle des Betriebe-Gesetzes haben wir die Weichen für eine kraftvolle Entwicklung gestellt.“ Das Stadtwerk werde als starker Akteur die Energiewende in Berlin voranbringen, frohlockt die Senatorin. Denn Produktion und Vertrieb von Strom aus Atom- und Kohlekraftwerken sind ausgeschlossen.
Denn der rot-rot-grüne Senat verfolgt das Ziel, Berlin bis zum Jahr 2050 zu einer klimaneutralen Stadt umzukrempeln. Konkret sollen die Kohlendioxidemissionen um mindestens 85 Prozent bezogen auf das Basisjahr 1990 sinken. So schreibt es jedenfalls das Berliner Energiewendegesetz vor, das seit April 2016 in Kraft ist.
Feuerwache mit Eigenversorgung
Im Nikolaus-Groß-Weg in Berlin-Charlottenburg gibt es schon einen sichtbaren Fortschritt. Die Leitstelle der Feuerwehr in Siemensstadt setzt künftig auf eigenen Solarstrom. Zum vorhandenen Blockheizkraftwerk im Keller haben die Berliner Stadtwerke im Auftrag des Berliner Immobilienmanagements (BIM) eine 850 Quadratmeter große Photovoltaikanlage auf das Dach der Feuerwache montiert.
Alle 377 polykristallinen Module verfügen über je 265 Watt Leistung. Die Anlage in Ost-West-Ausrichtung und mit insgesamt 100 Kilowatt Leistung erzeugt rund 87.000 Kilowattstunden pro Jahr, pro Jahr wird sie rund 50 Tonnen Kohlendioxid einsparen.
Der Solarstrom wird dabei vollständig ins Hausnetz eingespeist, denn er ist komplett für den Eigenverbrauch bestimmt. Ein Grund: Die Fahrzeuge der Feuerwehr sind mit vielen elektrischen Geräten ausgestattet, die zwischen den Einsätzen am Stromnetz aufgeladen werden. Stromnachfrage ist also reichlich vorhanden. Die Anlage deckt laut BIM aber nur drei Prozent des gesamten Strombedarfs am Standort ab.
Frecher Slogan: null Prozent Klimaschwein
Erstmals hat das Ziel der Klimaneutralität mit dem Energiewendegesetz auch eine gesetzliche Grundlage. Das kommunale Stadtwerk, das bei den Berliner Stadtwerken angesiedelt ist, warb in der Eröffnungskampagne im Herbst 2017 frisch und direkt mit Slogans wie „100 Prozent Friedrichshain, null Prozent Klimaschwein“ oder „100 Prozent SO 36, null Prozent CO2“. Wobei das SO 36 ein legendärer Veranstaltungsort in der Oranienstraße in Kreuzberg ist. 7.400 Kunden konnte das Stadtwerk bis Anfang April 2018 damit gewinnen, bestätigt Stephan Natz. Er ist Sprecher der Berliner Wasserbetriebe und des dort angesiedelten neuen Stadtwerks. Bis Jahresende sollen es doppelt so viele Kunden sein. Die Solaranlage auf dem Feuerwehrdach ist nur eine von insgesamt 28, die die Berliner Stadtwerke auf landeseigenen Immobilien errichten.
Damit haben die Berliner Stadtwerke den überwiegenden Anteil eines 2016 europaweit ausgeschriebenen BIM-Portfolios gewonnen. Der Auftrag an die Berliner Stadtwerke umfasst 4,7 Megawatt, was knapp der Menge aller 2015 in Berlin gebauten Photovoltaikanlagen entspricht. So bekommen nicht nur weitere Feuerwachen, sondern auch der Berliner Friedrichstadtpalast, alle sechs Berliner Gefängnisse, die Landesbibliothek in der Breiten Straße in Mitte sowie mehrere Oberstufenzentren Strom vom eigenen Dach.
Pachtmodell für Immobilien des Landes
Zusammen sind die von den Stadtwerken bei der BIM zu bauenden Anlagen so groß wie sechs Fußballfelder: 40.000 Quadratmeter. „Die Stadtwerke finanzieren und bauen, wir pachten und entlasten so durch den selbst erzeugten und verbrauchten Solarstrom die Stromnetze“, sagt Hans-Joachim Schlüter.
Er leitet beim BIM den Bereich für Property Management. Auf BIM-Liegenschaften installierte das neue Stadtwerk 2016 bis heute insgesamt 3,4 Megawatt solare Leistung. Zum Vergleich: In ganz Berlin gab es bis Ende 2017 insgesamt 97 Megawatt Photovoltaik am Netz.
In absoluten Zahlen sind die beiden südlichen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg Spitzenreiter beim Zubau. Ihr Anteil ist jedoch deutlich geringer als in früheren Jahren. Der Blick auf den flächenbezogenen Zubau zeigt jedoch ein anderes Bild: Hier führt Berlin. Die Hauptstadt konnte laut der Agentur für Erneuerbaren Energien (AEE) deutlich zulegen.
Sieben Megawatt in der Summe
„Besonders erfreulich ist der starke Zuwachs an Photovoltaik in Berlin – nicht nur, weil die Hauptstadt ein Vorbild geben sollte, sondern weil damit auch die urbane Nutzung von Erneuerbaren nah an den Schwerpunkten des Energieverbrauchs vorangetrieben wird“, sagt Philipp Vohrer, Geschäftsführer der AEE.
Die Berliner Stadtwerke haben bisher rund 18 Millionen Euro investiert und damit fast 21 Megawatt Windenergie und gut sieben Megawatt Photovoltaik installiert. Dahinter verbergen sich 124 Solarstromanlagen, aber auch neue Windräder wie das im März bei Großbeeren errichtete. Schließlich soll der Ökostromtarif nun auch im Berliner Umland vertrieben werden.
Dabei probieren die Stadtwerke auch neue Technologien aus wie beim Feldversuch in Spandau. Auf einem Hochhaus wurde das erste sogenannte Windrail-System installiert. Zehn Kombimodule erzeugen gleichzeitig Strom aus Wind und Sonne. Jedes Modul besteht jeweils aus zwei Rotoren und vier Solarmodulen, die direkt an der Dachkante installiert sind. Zwei Solarmodule sind schräg nach außen gewandt über dem Windrad angebracht und ragen über die Dachkante hinaus. Die zwei anderen Module sind auf der gegenüberliegenden Seite in die andere Richtung ausgerichtet.
So bildet die Konstruktion für das Windrad eine Art Windkanal. Die Ergebnisse nach einem Jahr Betrieb seien nicht befriedigend, konstatiert Stephan Natz. Die Erkenntnisse seien aber schon in eine verbesserte Prototypvariante eingeflossen. Der Einsatz neuer Techniken gehöre zum Selbstverständnis der Berliner Stadtwerke, das schließe auch temporäre Rückschläge ein, meint der Sprecher.
Neue Plattform für Mieterstrom
Insgesamt konnten in Kooperation mit kommunalen Wohnungsbaugesellschaften wie der Gesobau solare Großprojekte mit insgesamt 1,25 Megawatt installierter Leistung gebaut werden. 2017 wurden insgesamt Anlagen mit 170 Kilowatt Leistung neu errichtet. Für 2018 sei ein deutlicher Ausbau der Investitionstätigkeit in Solarstromanlagen für Mieterstromprojekte geplant, unter anderem wurde eine Plattform für Mieterstrom initiiert, erklärt Sprecher Natz. Durch die neue Plattform sollen systematisch potenziell geeignete Dachflächen identifiziert werden, die über Standardverträge und -verfahren angeworben werden.
Kaum ein Prozent des Stroms wird heute auf den Berliner Dächern gewonnen. 25 Prozent wären möglich. Eine Plattform für Mieterstrom soll dazu beitragen, dass diese Lücke sich schließt. Die Berliner Stadtwerke und die sechs kommunalen Wohnungsbaugesellschaften betreiben den dezentralen Zusammenschluss. Mit von der Partie sind die Wohnungsbaufirmen Degewo, Gesobau, Gewobag, Howoge, Stadt und Land und WBM Berlin-Mitte.
Zusammen mit regionalen Fachbetrieben
„Mit dieser Plattform starten wir den Turbo für diese dezentrale Zukunftstechnik. Wir wollen, dass die Energiewende Fahrt aufnimmt, und wir wollen die Akteursvielfalt für kreative Ideen und Erfolgsmethoden“, meint Senatorin Ramona Pop. Die Berliner Stadtwerke wirken in der netzwerkartigen Plattform als Katalysator und ergänzen die Kompetenz der Energie-Firmentöchter der Wohnungsbaugesellschaften. Sie investieren Landesmittel in Infrastruktur und lassen die Mieter an der Energiewende teilhaben. In der jetzt bekundeten Zusammenarbeit sollen die Potenziale der Immobilien für Photovoltaik entwickelt, Anlagen gebaut und betrieben und der Strom direkt vor Ort an die Mieter vertrieben werden. Das Prinzip des Netzwerks: Jeder macht das, was er am besten kann. Die Wohnungsbaugesellschaften kennen ihre Häuser und Mieter besser als jeder andere, die Stadtwerke haben das Know-how, um Solarstromanlagen zu installieren.
Das Stadtwerk kooperiert dafür mit öffentlichen, privaten und genossenschaftlichen Vermietern sowie mit Fachbetrieben aus dem regionalen Mittelstand, die die Anlagen montieren. Der Sonnenstrom wird auf dem Dach gewonnen und idealerweise ohne Übertragungsnetz gleich im selben Haus verbraucht. Das Motto lautet: „Power to the People“.
AGENTUR FÜR ERNEUERBARE ENERGIEN
Berlin bei Solarleistung pro Fläche vorn
Die neuen Daten im Portal Föderal Erneuerbar der Agentur für Erneuerbaren Energien (AEE) zum Photovoltaikausbau in den Bundesländern zeigen, dass Solarstrom längst kein Thema mehr nur für den Süden Deutschlands ist. Mittlerweile setzen alle Bundesländer auf Photovoltaik. In absoluten Zahlen sind Bayern und Baden-Württemberg weiter Spitzenreiter beim Zubau, ihr Anteil ist jedoch deutlich geringer als in früheren Jahren. Gemessen an der Landesfläche wurde 2017 die meiste Solarleistung in Berlin und im Saarland installiert.
Rund 1,75 Gigawatt Solarstromleistung wurden 2017 in der Bundesrepublik neu installiert. Das bedeutet gegenüber dem Vorjahr zwar eine Steigerung um knapp 200 Megawatt oder rund zwölf Prozent. Insgesamt bleibt der Ausbau aber hinter dem von der Bundesregierung angestrebten Ziel von 2,5 Gigawatt zurück. Viele Experten fordern sogar ein deutlich schnelleres Wachstum.
In den Bundesländern entfiel mit 405 Megawatt der Großteil der neu installierten Leistung auf Bayern sowie auf Baden-Württemberg mit 206 Megawatt. Der Blick auf den flächenbezogenen Zubau zeigt jedoch ein anderes Bild: Hier führt Berlin, welches das Wachstum an Solarstromleistung gegenüber den Vorjahren deutlich steigern konnte. Auf dem zweiten Rang liegt das Saarland vor Mecklenburg-Vorpommern.
Vor allem in den Stadtstaaten, wo keine Freiflächenanlagen installiert wurden, sowie in Nordrhein-Westfalen und Hessen sei der Anteil von Dachanlagen besonders hoch. „In Ballungsräumen bietet die Solarstromnutzung – etwa auch als Mieterstrom in Mehrfamilienhäusern – häufig den einzigen direkten Zugang zu erneuerbaren Energien“, schildert Philipp Vohrer, Geschäftsführer der AEE, die Situation.
Berliner Energieagentur
Global denken, lokal handeln
Auf ein neuartiges Contractingmodell setzen die Berliner Energieagentur (BEA) und die Wohnungsbaugenossenschaft Bremer Höhe. Der im März 2018 unterzeichnete Vertrag beinhaltet einerseits eine lokale Reduzierung von Kohlendioxid durch Einsatz dezentraler Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), andererseits eine globale Kompensation. Diese erfolgt über eine Zusammenarbeit mit der Klimaschutzorganisation Atmosfair.
Die BEA erhielt nach einer Ausschreibung den Zuschlag, die KWK-basierte Wärme- und Stromversorgung von 460 Haushalten und 22 Gewerbebetrieben in einem Stadtquartier im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg für 15 Jahre fortzusetzen. Dazu werden in den kommenden Monaten die drei bestehenden Dachheizzentralen modernisiert und mit neuen Blockheizkraftwerken (BHKW) und Spitzenlastkesseln ausgestattet. Alle Bewohner der Genossenschaft haben weiterhin die Möglichkeit, den von der BEA angebotenen Mieterstrom zu beziehen.
Die effiziente Energieerzeugung vor Ort führt zu einer Einsparung von 233 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr im Vergleich zum Status quo. Durch die Kooperation mit Atmosfair erfolgt zusätzlich eine Kompensation, weil durch die Nutzung von Erdgas weiterhin vor Ort Kohlendioxid freigesetzt wird. Diese Emissionen werden kompensiert, indem Bauern in Nepal die gesundheits- und umweltschädliche Verbrennung von Holz auf selbst betriebene Kleinbio-gasanlagen umstellen können. In diesen sehr einfachen Anlagen wird Kuhdung mit Wasser vermischt und in einem Faulbehälter zu klimaneutralem Biogas vergoren.
Insgesamt will Atmosfair in Nepal mit seinem „Biogas Support Programme“ die Anschaffung von rund 20.000 Kleinbiogasanlagen mit 80 Prozent der Investitionskosten über Zuschüsse und Mikrokredite fördern. Das Programm ist durch den sogenannten Clean Development Mechanism der UN und nach dem internationalen Goldstandard zertifiziert. Die Emissionsminderung werde bei der Deutschen Emissionshandelsstelle nachgewiesen.
Die BEA will in den kommenden Monaten die drei Heizzentralen komplett modernisieren und dazu die neuen BHKW über Schwerlastkräne in die Dachheizzentralen einbringen. Die Inbetriebnahme ist in der zweiten Jahreshälfte vor Beginn der kommenden Heizperiode geplant. Insgesamt betreibt die BEA in Berlin und Brandenburg 84 BHKW sowie 60 Photovoltaikanlagen. Sie beliefert rund 4.100 Privathaushalte und Gewerbebetriebe mit Mieterstrom.