Aktuell sind die Bauarbeiten in vollem Gange. Gerade haben die ersten Bauträger damit begonnen, die neuen Häuser im Stadtentwicklungsgebiet „Village im Dritten“ in Wien hochzuziehen. Die ersten Vorarbeiten für die Energieversorgung in Form von Erdwärmesonden sind bereits zu einem großen Teil abgeschlossen.
Auf dem riesigen Baugelände mitten in der österreichischen Hauptstadt entstehen Gebäude auf 22 Baufeldern. Dazu gehören auch zwei langgestreckte Gebäuderiegel an der Südwestseite des Baufeldes – die Docks. Dort verläuft der vielbefahrene Landstraßer Gürtel. Deshalb werden die Docks auch keine Wohnhäuser, sondern reine Gewerbebauten sein.
Dachanlage als Lärmschutz
Die beiden Häuser ziehen sich über mehr als 300 Meter, dem Kurvenverlauf der Straße folgend. Dadurch schützen sie das dahinterliegende Quartier vor Lärm. Auf den begrünten Dächern der Docks werden – wie auf allen nicht genutzten Gründächern im Quartier – Photovoltaikanlagen entstehen. Geplant ist eine hohe Aufständerung mit zwei Modulreihen übereinander. Dadurch ragt die Photovoltaikanlage mit einer Modulfläche von rund 2.300 Quadratmetern fast vier Meter über die Dachkante hinaus und erweitert damit die Barriere gegen den Straßenlärm.
Ein Megawatt Solarleistung
Mit einer Leistung von 420 Kilowatt ist sie ein wichtiger Teil des gesamten Energiekonzepts, das die ARE Austrian Real Estate zusammen mit Wien Energie entwickelt hat. „Auch alle anderen 20 Bauplätze – die meisten davon Wohngebäude – werden mit klassischen Photovoltaikanlagen ausgestattet“, erklärt Elena Treiber, die in der Abteilung Energie und Nachhaltigkeit der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) für die Planung und Umsetzung des Energiekonzepts verantwortlich ist.
Insgesamt wird auf allen Dächern im Quartier rund ein Megawatt Photovoltaikleistung entstehen. Der Solarstrom wird den Bewohnern zur Verfügung gestellt und direkt im Quartier genutzt. „Wir bündeln dazu alle Photovoltaikanlagen mithilfe der Erneuerbaren-Energie-Gemeinschaft“, sagt Markus Metzler, Leiter Energie und Nachhaltigkeit bei der BIG. „Gleichzeitig betreiben wir die Photovoltaikanlagen auf den einzelnen Gebäuden, dort wo es möglich ist, als gemeinschaftliche Erzeugungsanlagen. Jeder Verbraucher kann, wenn er möchte, einem Verein beitreten, der dazu gegründet wird. Über diesen Verein können die Verbraucher, als Ergänzung zu ihrem Strombezug aus dem öffentlichen Netz, Photovoltaikstrom zu reduzierten Netzentgelten beziehen, wenn dieser vorhanden ist."
Kalte Nahwärme nutzen
Damit kombiniert die ARE zwei verschiedene Formen von Energiegemeinschaften. Dies wird in Österreich ab 2024 möglich sein und wurde bisher noch nicht in dieser Konstellation umgesetzt. Durch die gemeinschaftlichen Erzeugungsanlagen können Bewohner, Büronutzer und Gewerbetreibende im Quartier jeweils den Strom aus der Photovoltaikanlage auf dem Dach des jeweiligen Gebäudes nutzen. Die Kombination mit der Erneuerbaren-Energie-Gemeinschaft soll es zusätzlich ermöglichen, dass die Photovoltaikanlagen auch andere Gebäude im Quartier versorgen.
Diese quartiersübergreifenden Lösungsansätze sind der zentrale Punkt des Energiekonzepts. „Basis für die Konzeption des übergeordneten Energieversorgungskonzeptes bildeten die unterschiedlichen Nutzungsarten der einzelnen Gebäude im Quartier“, erklärt Elena Treiber. „Der größte Teil sind Wohnbauten – es entstehen etwa 2.000 Wohnungen. Dazu kommen Büro- und Gewerbeflächen, nicht nur in den Docks, sondern auch in den Sockelzonen der anderen Gebäude.“
Eigenstrom maximieren
Durch die unterschiedlichen Nutzungen ergeben sich verschiedene Lastgänge und Energieverbräuche. Deshalb ist es sinnvoll, das Energiekonzept nicht nur auf Gebäudeebene zu betrachten, sondern auf Quartiersebene. Elena Treiber hält fest, dass durch den bauplatzübergreifenden Ansatz die Eigenverbrauchsquote des lokal erzeugten Stroms im Quartier maximiert werden kann.
Schließlich produzieren die Solaranlagen vor allem dann Strom, wenn die meisten Bewohner nicht zu Hause sind. In diesem Fall fungieren die Gewerbe- und Büroeinheiten als Abnehmer des Stroms.
Das Energiekonzept umfasst nicht nur lokal erzeugten Strom. Auch die vor Ort vorhandenen Ressourcen für die Wärme- und Kälteversorgung werden im Quartier genutzt. Hierfür werden unter den Baufeldern 500 Erdwärmesonden errichtet. Zusätzlich werden zwei voneinander getrennte kalte Nahwärmenetze – sogenannte Anergienetze – errichtet.
Dies sind Nahwärmenetze, die auf geringem Temperaturniveau arbeiten. Im konkreten Fall dienen sie als eine bauplatzübergreifende Wärmequelle beziehungsweise Wärmesenke.
150 Meter tiefe Erdsonden
Denn auf jedem Bauplatz wird eine Energiezentrale errichtet. Darin sind jeweils Wärmepumpen untergebracht, die das Erdreich über die 150 Meter tiefen Erdsonden nutzen.
Die Wärmepumpen heben die Temperatur der Wärmequelle auf ein Niveau, das für die Fußbodenheizung in den Gebäuden ausreicht. Da die Fußbodenheizungen mit einer niedrigen Vorlauftemperatur zurechtkommen, steigt auf diese Weise die Effizienz der Wärmepumpen. Auf diese Weise kann die Geothermie als Primärenergiequelle über die Wärmepumpen in Kombination mit dem Anergienetz bis zu 75 Prozent des Wärmebedarfs im Village abdecken.
Sondenfeld wieder ausgleichen
Die Wärmepumpen sind die Hauptwärmeerzeuger für den Betrieb der Heizungen. Da das Temperaturniveau unter anderem aus hygienischen Gründen für die Warmwasserversorung nicht ausreicht, sind die Energiezentralen der Bauplätze an das Fernwärmenetz angeschlossen, das Wien Energie in der Region betreibt.
Die Wohngebäude verfügen über eine moderate Kühlung. Dabei wird den Räumen über die Flüssigkeit, die in Flächen wie der Fußbodenheizung zirkuliert, Wärme entzogen.
Mit Wärmepumpen kühlen
Diese Wärme wird passiv über die Sonden in das Erdreich zurückgeführt. Erst wenn diese passive Kühlung nicht ausreicht, schalten sich die Wärmepumpen zu. Die bei der aktiven Kühlung anfallende Abwärme wird ebenfalls dem Erdsondenfeld zugeführt. Damit wird es als Energiequelle für die Wärmepumpen für den Winter wieder aufgeladen. Dies ermöglicht den ausgeglichenen Betrieb des Sondenfeldes.
Die Wärmepumpen stellen den Gewerbe- und Bürobauten im Sommer zusätzlich Kälte bereit, um dort die Räume aktiv zu kühlen. Auch diese den Räumen entzogene Wärme wird über die Wärmepumpen in die Erdsonden eingespeist.
Energieflüsse steuern
Optimiert wird das gesamte sektorenübergreifende Energiesystem – sowohl strom- als auch wärmeseitig – von einem District Manager. Das ist eine übergeordnete, prognosebasierte Software zur Energieflusssteuerung, die Ampeers Energy entwickelt hat.
Dazu wird in jedem Gebäude zunächst die klassische Gebäudeleittechnik installiert. Diese liefert Daten an den District Manager, der die gesamten Energieflüsse und Anlagen viertelstundenscharf so aussteuert, dass die maximale Sonnenstromnutzung mit der optimalen Wärmebereitstellung kombiniert wird. Das Ziel: die lokal vorhandenen Ressourcen optimal zu nutzen.
Energiemanagement lernt dazu
Basis der Aussteuerung – sowohl zwischen den einzelnen Gebäuden mit ihren Energieanlagen als auch zwischen den einzelnen Sektoren Strom und Wärme – sind Rahmenparameter. „Dazu werden zu Beginn Informationen hinterlegt, wie Gebäudelasten, globale Einstrahlungswerte und Energieverbräuche, von denen wir ausgehen“, sagt Elena Treiber.
Davon ausgehend steuert der District Manager das gesamte Energiesystem so aus, dass es so effizient wie möglich läuft. Durch die Nutzung künstlicher Intelligenz kann er beispielsweise das Nutzerverhalten immer besser prognostizieren. „Auf Basis der gesammelten Daten im täglichen Betrieb prognostiziert das System den Strom- und Wärmebedarf und gleicht diesen mit der Deckung durch die Solarstromanlagen und Wärmepumpen ab“, erklärt Karsten Schmidt, Geschäftsführer von Ampeers Energy. Dazu werden auch die Vorhersagen lokaler Wetterstationen eingebunden.
Auf veränderte Nutzung reagieren
Die künstliche Intelligenz lernt auch, sich auf Veränderungen einzustellen. Wenn beispielsweise ein neues Gewerbe einzieht, das einen zeitlich anderen Energiebedarf hat als der bisherige Betrieb, stellt das System selbstständig die gesamte Anlagensteuerung auf die neue Situation ein. „Nur wenn eine zusätzliche Komponente wie etwa ein Batteriespeicher auf der Anlagenseite ganz neu hinzukommt, modellieren wir diese manuell in das System hinein“, sagt Karsten Schmidt.
System läuft immer effizienter
Das geht sehr schnell. „Wir arbeiten gerade daran, dass der District Manager in Zukunft eine selbstlernende künstliche Intelligenz wird. Perspektivisch werden dann neue Komponenten erkannt und automatisch eingebunden“, sagt Schmidt.
Schon jetzt erkennt das System selbstständig, wenn zusätzliche Verbraucher hinzukommen. Auf diese Weise kann es während der Betriebsphase immer effizienter laufen und die Nutzung der eigenen Energie im Quartier erhöhen.