Leise weht der Wind über die ausgedehnten Felder. Kaum ein Hügel steht ihm im Wege. Die Uhren ticken anders in der beschaulichen Lausitz im Süden Brandenburgs. Doch bald wird das vertraute Rascheln der Roggenfelder im Wind der Vergangenheit angehören. Zumindest wenn es nach dem Willen der rot-roten Landesregierung in Potsdam geht. Sie hat dem Energiekonzern Vattenfall grünes Licht für den Abbau von Braunkohle gegeben, die in 100 Metern Tiefe unter den Roggenfelder lagert.
Seit Jahrzehnten wühlen sich die riesigen Stahlkolosse der Bergbauunternehmen durch die Lausitz. Sie baggern die Braunkohle im Tagebau ab. Diese wird zum größten Teil in den nahe gelegenen Kraftwerken einfach verbrannt.
Die Uhren ticken anders
Der damit erzeugte Dampf treibt die angeschlossenen Generatoren an, die Strom produzieren. Die Abwärme nutzen die Kraftwerksbetreiber immerhin inzwischen zur Versorgung der Ortschaften in der Nähe mit Fernwärme. Trotzdem geht ein großer Teil der wenigen Energie verloren, die die Braunkohle in sich trägt. Mehr als die Hälfte der Masse, die die Bagger aus der Erde holen, ist Wasser.
Nicht nur in der Lausitz ticken die Uhren anders. Auch in Potsdam will man offensichtlich die Zeit verschlafen. Denn während die Energiewende durch die Welt peitscht, hält die Landesregierung in der Potsdamer Staatskanzlei an der alten Zeit fest.
Die Verstromung der Braunkohle ist ein fester Bestandteil der Energiestrategie geworden. Dabei sind in den anderen Teilen des Bundeslandes Unternehmen und Privatleute längst damit beschäftigt, auch ohne die Unterstützung aus Potsdam die Energiewende voranzutreiben.
Eigene Energieversorgung aufgebaut
So auch in der Lausitz. Das kleine Dorf Proschim an der brandenburgisch-sächsischen Grenze, 30 Kilometer südöstlich von Cottbus, hat sich seine eigene Energieversorgung aufgebaut. Allein die fast 30 Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von 850 Kilowatt produzieren fast 800 Megawattstunden Strom im Jahr.
Dazu kommt noch der Solarpark auf dem nur einen Kilometer westlich vom Dorf gelegenen Flugplatzgelände. Würde dieser entstehen, könnten die Proschimer auf eine Photovoltaikleistung von fast 20 Megawatt zurückgreifen.
Um die volatile Stromerzeugung der Solaranlagen auszugleichen, haben die Dorfbewohner bereits 1997 vier Windkraftanlagen mit einer Leistung von 2,4 Megawatt errichtet. Außerdem steht noch eine große Biogasanlage mit einer Leistung von 564 Kilowatt als Back-up zur Verfügung. Damit produziert das Dorf jetzt schon viel mehr Energie, als die knapp 350 Einwohner verbrauchen können.
Neue Flöze anzapfen
Dieses Potenzial soll jetzt der alten Technologie weichen. Das gesamte Dorf inklusive der Anlagen zur Erzeugung regenerativen Stroms soll abgebaggert werden, um neue Braunkohleflöze anzuzapfen. Der bestehende Tagebau Welzow mit einer Fläche von 9.000 Hektar soll um 1.900 Hektar erweitert werden.
Dies bedeutet nicht nur ein umweltpolitisches Desaster und die Vertreibung der angestammten Bevölkerung aus ihren Häusern, also eine Enteignung. Es ist vielmehr vor allem ein wirtschaftspolitisches Versagen der Landesregierung. Noch vor zwei Jahren hat sie die Photovoltaikindustrie Brandenburgs bedenkenlos geopfert. Schließlich gingen zwischen 2011 und 2013 fast 7.000 Jobs in der Solarbranche des Bundeslandes verloren.
Zwar hätten die Landesregierungen in Potsdam und Dresden durch die Schließung der Braunkohleverstromung in der Lausitz auf einen Schlag 8.200 Arbeitslose mehr in der Statistik stehen. Doch die Erweiterung der Förderstätten ist kein Ausweg aus diesem Dilemma. „Die Wirtschafts- und Industriestruktur der Lausitz wird stark geprägt von den Sektoren Energie und Bergbau. Dies birgt Chancen, aber auch Risiken. So könnte im Zuge der Energiewende die für die Lausitz so wichtige Braunkohle und die damit verbundene Energieerzeugung zunehmend an Bedeutung verlieren“, erklärt Joachim Ragnitz. Er ist stellvertretender Leiter der Dresdner Niederlassung des Ifo-Instituts.
Zusammen mit seinen Mitarbeitern hat er die Chancen der Wirtschaftsregion Lausitz unter die Lupe genommen. „Die Lausitzer Industrie ist außerhalb des Bergbau- und Energiesektors zudem sehr kleinteilig und durch die geringe Präsenz von Hightechbranchen und großer, wertschöpfungsintensiver Unternehmenssitze geprägt.“
Von der Braunkohle abhängig – noch
Immerhin stellt die Industrie einschließlich des Braunkohlebergbaus und der dazugehörigen Kraftwerke 18,4 Prozent der Arbeitsplätze. Der Bruttowertschöpfungsanteil liegt mit 29,7 Prozent sogar deutlich höher als im Bundesdurchschnitt. Dieser beträgt gut 24 Prozent. „Der Grund hierfür ist, dass in der Lausitzer Industrie eher kapitalintensive Bereiche wie Bergbau, Energie, Chemie dominieren, die typischerweise wenig Beschäftigte aufweisen, jedoch eine hohe Wertschöpfung erzielen“, weiß Ragnitz. Damit wird klar: Die Lausitz ist wirtschaftlich von der Braunkohle abhängig. Mit dem Konzept der Erweiterung des Tagebaus wird Potsdam diese Abhängigkeit noch verschärfen. Die Lausitz sitzt dann auf einem wirtschaftlichen Pulverfass, das spätestens dann explodiert, wenn der Braunkohlestrom an der Börse nicht mehr zu verkaufen ist.
Ausstieg ist problemlos möglich
Ragnitz hat für die Landesregierung in Potsdam einen anderen Ausweg parat. „Da Energie und Bergbau stark durch politische Entscheidungen auf EU- und Bundesebene beeinflusst sind, spricht vieles für eine stärkere Diversifizierung der regionalen Wirtschaftsstruktur als wichtige Ergänzung zur bedeutsamen Rolle der Braunkohle. Es müssen daher gerade auch für die anderen strukturprägenden Industriebranchen positive Rahmenbedingungen geschaffen werden“, erklärt Ragnitz. „Im Klartext: Verlasst euch nicht auf die Braunkohle, das kann ganz schnell vorbei sein“, bringt es René Schuster auf den Punkt. Er ist Energieexperte der Grünen Liga Brandenburg und dort mit dem Thema Braunkohle befasst.
Dazu kommt noch ein wichtiger Punkt, den Joachim Ragnitz ebenfalls in seinem Gutachten beleuchtet. Es sind die zunehmend fehlenden Fachkräfte. „Damit würde das Abbaggern von Lausitzer Dörfern Arbeitsplätze für Menschen sichern, die man erst noch für das Abbaggern von Dörfern begeistern und ausbilden, vielleicht sogar aus anderen Regionen hier ansiedeln müsste“, betont René Schuster. „Außerdem brauchen zahlreiche andere Branchen diese Fachkräfte ebenfalls. Viele dieser Branchen sind in jeder Hinsicht nachhaltiger als die Verbrennung von Braunkohle.“
Wertschöpfung generieren
Ragnitz warnt aber davor, Wirtschaftszweige anzusiedeln, die einem starken Kostendruck ausgesetzt sind. Dazu gehört leider auch die Photovoltaikindustrie. Doch die Branche besteht nicht nur aus den Produktionsbetrieben. Es sind vielmehr die Installateure, die den größten Teil der regionalen Wertschöpfung generieren. Hier könnte die Lausitz stark von der Energiewende profitieren, wie es schon andere Regionen in Brandenburg getan haben.
Immerhin liefern im gesamten Land Solaranlagen mit einer Gesamtleistung von fast drei Gigawatt sauberen Sonnenstrom. Doch der Anteil der Photovoltaik an der gesamten Stromproduktion Brandenburgs beträgt nur etwa vier Prozent. Immer noch verstopft der Braunkohlestrom die Netze. Sein Anteil beträgt immerhin 63 Prozent. Mit dem Bau von Solarstrom- und Windkraftanlagen in der Region wird dieser Strom aus den alten und schmutzigen Kraftwerken obsolet.
Mit dem Verzicht auf die Erweiterung des Tagebaus könnte Brandenburg der Ausstieg aus der Braunkohle nach und nach gelingen. Um die Stromproduktion auszugleichen, müsste Potsdam aber der Solar- und Windbranche wieder den Rücken stärken. Allein die Belegung der Fläche der geplanten Tagebauerweiterung mit einem Solarkraftwerk kann rein rechnerisch die Leistung eines Blocks des Braunkohlekraftwerkes Schwarze Pumpe ersetzen. Dort wird bisher die rund um Proschim geförderte Braunkohle verbrannt.
Ackerflächen bedenkenlos geopfert
Allerdings ist dies nicht möglich. Die Bundesregierung hat mit der EEG-Novelle einem solchen Vorhaben vor vornherein einen Riegel vorgeschoben. Man mag geteilter Meinung sein, ob der Bau von Solaranlagen auf Ackerflächen erlaubt werden soll oder nicht. Doch offensichtlich hat niemand im Berliner Regierungsviertel oder auf dem Potsdamer Brauhausberg ein Problem damit, dass hier in der Lausitz gleich 1.900 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche der Braunkohle weichen müssen.
Für die ansässigen Bauern ist dies ein Desaster. Immerhin hat Proschim die flächenmäßig größte Agrargenossenschaft im Osten Deutschlands. „Die im Planentwurf vorgesehene Vernichtung von rund 1.800 Hektar land- und forstwirtschaftlicher Nutzfläche bedeutet eine erhebliche Schädigung der regionalen Wirtschaftsstruktur auf unabsehbare Zeit“, warnt Reinhard Jung vom Bauernbund Brandenburg.
Er kritisiert die Argumentation der Landesregierung, dass durch die Erweiterung des Tagebaus die Arbeitsplätze in der Braunkohle erhalten bleiben. „Die Kippen, die uns der Tagebau hinterlässt, sind kein Boden im landwirtschaftlichen Sinne, sondern Unland“, schimpft Jung. „Alle typischen Merkmale von Boden, eine dichte mineralische Struktur mit Humusanteil und Verbindung zum Grundwasser, fehlen komplett. Erträge, die den Aufwand der Bewirtschaftung rechtfertigen, sind von solchen Flächen nicht zu erwarten.“ Deshalb ist auch nicht zu erwarten, dass die Arbeitsplätze nach dem Ende des Tagebaus in anderen Bereichen entstehen könnten.
Nebulöses Feindbild
Proschim ist nicht der erste Ort, der dem Baunkohletagebau weichen muss. Doch mit der gelebten Energiewende hat er eine besondere Bedeutung gewonnen im Kampf der Lausitzer gegen den übermächtigen Gegner aus der Energiewirtschaft. Dieser trägt seit Jahren den Namen Vattenfall.
Doch Ende des vergangenen Jahres wurde für die Lausitzer das Feindbild nebulöser. Denn aus Stockholm kam im Oktober des vergangenen Jahres die Weisung der neuen rot-grünen Regierung, der Staatskonzern habe das Braunkohlegeschäft in Deutschland abzustoßen. Stattdessen solle sich der Konzern nur noch auf den Betrieb der Übertragungs- und der Verteilnetze sowie die Entwicklung von Ökostromprojekten konzentrieren.
Seither leben die Bewohner im südlichen Brandenburg zwischen Hoffen und Bangen. Zunächst schien der Ausstieg Vattenfalls aus der Braunkohle wie eine Befreiung. Doch die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. Schließlich wird sich der schwedische Stromkonzern zwar aus der Braunkohleverstromung zurückziehen. Aber die Tagebaue und die Kraftwerke einfach zu schließen kommt nicht in Frage.
Jetzt steht ein Verkauf auf der Tagesordnung. Mit dem tschechischen Stromkonzern EPH steht auch schon ein Interessent in den Startlöchern. Er will aber nicht nur die Kraftwerke übernehmen, sondern vor allem die Tagebaue. Denn dem tschechischen Versorger geht mittelfristig der Brennstoff für die eigenen Kohlekraftwerke aus. „Im Gegensatz zu Deutschland dürfen in Tschechien seit 2012 keine Menschen mehr aus ihrer Heimat vertrieben werden, um Kohle abzubaggern“, erklärt Günter Jurischka, Sprecher der Arbeitsgruppe Dorf-Kohle-Umwelt Proschim. „Deshalb und vor dem Hintergrund eines möglichen Kaufs der Braunkohlesparte von Vattenfall durch EPH könnte ein Export der Braunkohle aus den Lausitzer Tagebauen nach Tschechien nicht unwahrscheinlich sein.“
Vom Regen in die Traufe?
Ob die Lausitzer damit vom Regen in die Traufe kommen, bleibt abzuwarten. Ebenso fraglich ist es, ob Potsdam mit dem Käufer genauso großzügig umgeht wie mit Vattenfall. Auf der anderen Seite darf die Landesregierung den Verkauf der Braunkohlesparte der Schweden nicht torpedieren. Sonst müsste im Zweifelsfall sogar Potsdam Vattenfalls Altlasten übernehmen. Denn ohne Tagebau ist es wiederum fraglich, ob die Tschechen die veranschlagten zwei bis drei Milliarden Euro auf den Tisch legen, um die Braunkohlesparte des schwedischen Energiekonzerns zu übernehmen. Die rot-rote Landesregierung in Potsdam hat sich damit zum Spielball der wirtschaftlichen Interessen der alten Energiewirtschaft gemacht.
Land Berlin
Ausstieg aus der Braunkohle einstimmig beschlossen
Das Berliner Abgeordnetenhaus hat einstimmig den Ausstieg aus der Braunkohle beschlossen. Die Abgeordneten haben einem Beschluss der Fraktion von B90/Grüne zugestimmt, dass der Berliner Senat die gemeinsame Landesplanungskonferenz Berlin-Brandenburg einberufen und den Braunkohletagebau Welzow-Süd II hinterfragen soll, von dem auch Proschim bedroht ist. Mit der Entscheidung des Abgeordnetenhauses hat sich erstmals ein deutsches Länderparlament für den Ausstieg aus der Braunkohle entschieden. Damit könnte die Braunkohleverstromung in Berlin-Brandenburg etwa 2030 enden.
Klar ist aber auch, dass die Erschließung neuer Fördergebiete angesichts der Energiewende nicht notwendig ist. Schließlich reichen die bisher erschlossenen Vorkommen noch bis 2030. Ob danach die Braunkohle überhaupt noch wirtschaftlich tragbar ist, ist zumindest sehr fraglich. Schließlich müssten dann die neuen Betreiber der Kraftwerke hohe Summen investieren, um diese zu modernisieren. In diesem Fall sind dann die Kosten für den Braunkohlestrom deutlich höher als die Kosten für regenerativen Strom, was diese neuen Kraftwerke dann komplett unwirtschaftlich machen würde.
Landtag Brandenburg
Risikofaktor Braunkohle
Die Wirtschaft in Brandenburg hat im Jahr 2012 insgesamt 863 Kilogramm Quecksilber als Schadstoffemission freigesetzt. Der größte Teil davon kommt aus den Braunkohlekraftwerken Jänschwalde und Schwarze Pumpe. Mit 505 und 228 Kilogramm Quecksilber führen die Kohlemeiler im Süden des Bundeslandes die Statistik an. Erst mit weitem Abstand kommt das Stahlwerk in Eisenhüttenstadt.
Das Risiko ist aber nicht auf Brandenburg beschränkt. In ganz Deutschland sind die Braunkohlekraftwerke für gut 40 Prozent der Quecksilberemissionen verantwortlich, belegt eine Studie der Bundestagsfraktion von B90/Grüne. Allerdings haben die einzelnen Kraftwerke die 2004 festgelegten Grenzwerte nicht überschritten. Dafür waren die Regelungen auch viel zu lasch ausgelegt. Denn bisher galten sie nur für Anlagen, die nach Einführung der Grenzwerte in Betrieb gingen. Die betroffenen Kraftwerke sind aber alle älter.
Immerhin hat die Bundesregierung im Jahr 2013 beschlossen, die Regelungen zu verschärfen. Die Galgenfrist für die Kohlekraftwerke läuft zum Jahreswechsel aus. Dann dürfen sie durchschnittlich pro Tag nur noch 0,03 Mikrogramm Quecksilber pro Kubikmeter Abgas ausstoßen.